Das Bundesarbeitsgericht musste im Juli 2013 über einen Auflösungsantrag des gekündigten Arbeitnehmers gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG entscheiden. Die Klage des Arbeitnehmers würde voraussichtlich erfolgreich sein; der Arbeitnehmer aber hatte nach drei rechtswidrigen Kündigungen und vier Abmahnungen die Nase voll und wollte gegen die Zahlung einer Abfindung raus aus dem Arbeitsverhältnis. Das Gericht sollte die Höhe der Abfindung selber festlegen. Das Bundesarbeitsgericht löste das Arbeitsverhältnis aber nicht auf und “verdonnerte” Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen, das offenkundig erheblich gestörte Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
Das Gericht sah es nicht als hinreichend erwiesen an, dass das Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer auf unbestimmte Dauer unzumutbar sei.
Es folgte nicht der Argumentation des Arbeitnehmers, der vorgetragen hatte, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei nach insgesamt drei Kündigungen, vier Abmahnungen und einer dadurch ausgelösten psychischen Erkrankung des Arbeitnehmers – Kündigung und psychische Erkrankung – unheilbar zerrüttet. Denn der Arbeitgeber wolle ihn um jeden Preis aus dem Arbeitsverhältnis drängen; Kündigung und psychische Erkrankung seien die zwangsläufige Folge gewesen. Das Bundesarbeitsgericht sah hierin aber trotzdem keinen Trennung willen des Arbeitgebers „um jeden Preis“. Die Zeiträume zwischen der ersten und der zweiten Kündigung hätten gezeigt, dass auch nach der Kündigung eine weitere Zusammenarbeit möglich gewesen sei. Keine der Kündigungen schätzte das Bundesarbeitsgericht als offensichtlich haltlos ein. Das Bundesarbeitsgericht räumte allerdings ein, dass es einem Auflösungsantrag eines Arbeitnehmers zustimmen könne, wenn der Arbeitgeber die Krankheit des Mitarbeiters gezielt durch unbegründete Kündigungen, unbegründete Abmahnungen oder ehrverletzende Äußerungen herbeiführe bzw. herbeiführen wolle (Kündigung und psychische Erkrankung). Diese Voraussetzungen sah das Bundesarbeitsgericht aber vorliegend nicht als erfüllt an. Erkranke ein Arbeitnehmer psychisch als Folge einer vorangegangenen, wenn auch unwirksamen weil sozialwidrigen Kündigung, so verwirkliche sich in der Regel ein “allgemeines Lebensrisiko”. Kündigung und psychische Erkrankung könnten nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts daher nicht per se dem Arbeitgeber angelastet werden.
Die Entscheidung zeigt, dass die Rechtsprechung das Kündigungsschutzgesetz immer noch überwiegend als ein Gesetz einstuft, das den Arbeitsplatz erhalten soll. Im Zweifel stuft es daher den Erhalt des Arbeitsplatzes höher ein als die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen die Zahlung einer Abfindung. Häufig ist damit weder dem Arbeitnehmer noch dem Arbeitgeber geholfen. Der vorliegende Fall zeigt, dass das Gericht sich durch diese Gewichtung des Kündigungsschutzgesetzes als “Bestandsschutzgesetz” auch gegen die praktische Notwendigkeit wendet, ein stark belastetes Arbeitsverhältnis zu beenden. Beiden Parteien wäre im vorliegenden Fall dringend zu raten gewesen, das Arbeitsverhältnis gegen die Zahlung einer Abfindung durch Vergleich/Vereinbarung zu beenden. Denn eine weitere, halbwegs gedeihliche Zusammenarbeit war nicht mehr zu erwarten.