Unter welchen Voraussetzungen kann ein Arbeitnehmer von seinem (früheren) Arbeitgeber Schadensersatz bei Arbeitsunfall für Verletzungen und Erkrankungen verlangen, die er durch die Arbeit erlitten hat? Das Bundesarbeitsgericht hat am 20.6.2013 (8 AZR 471/12) entschieden, dass der Arbeitgeber zunächst bei der Verletzungshandlung vorsätzlich gehandelt haben muss. Zusätzlich muss der Arbeitgeber auch vorsätzlich den Verletzungserfolg in Kauf genommen haben. Nur dieser doppelte Vorsatz führt zu einer unmittelbaren Haftung des Arbeitgebers gegenüber seinem Mitarbeiter.
Der Sachverhalt: die beklagte Stadt hatte den klagenden Mitarbeiter 1995 mehrere Monate lang bei der Sanierung eines asbestbelasteten Gebäudes eingesetzt. Dabei war der Mitarbeiter über die besondere Gefahr dieser Tätigkeit nicht aufgeklärt worden. Auch ein Hinweis oder eine Anweisung war nicht erfolgt, Schutzbekleidung oder Atemschutzgeräte zu tragen. Im Jahr 2006 erkrankte der Mitarbeiter an Krebs. Er verlangt nun vor den Arbeitsgerichten die Feststellung, dass die Stadt verpflichtet ist, ihm alle Schäden zu ersetzen, die er aufgrund der Anweisung der Stadt erlitten hat, an asbestfaserhaltigen Bauteilen tätig zu werden.
Das Arbeitsrecht kennt das
sog. „Haftungsprivileg“ des Arbeitgebers
gegenüber seinen Mitarbeitern: eine unmittelbare Haftung des Arbeitgebers und Schadensersatz bei Arbeitsunfall gibt es danach nur dort, wo der Arbeitgeber den Schaden beim Arbeitnehmer vorsätzlich herbeigeführt. Bei „nur“ fahrlässiger Schadensverursachung durch den Arbeitgeber greifen die gesetzlichen Unfallversicherungsvorschriften. Es haftet in diesen Fällen nur die Allgemeinheit in Gestalt der jeweiligen Berufsgenossenschaften bzw. Rentenversicherungsanstalten. Eine direkte Haftung des Arbeitgebers scheidet aus.
Das Bundesarbeitsgericht stellt zunächst klar, dass ein Arbeitgeber nicht schon deshalb vorsätzlich den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit herbeiführt, weil er Arbeitsschutzvorschriften vorsätzlich nicht einhält. Denn ein Arbeitgeber wird trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers wollen. Er wird darauf hoffen, dass der Unfall nicht eintritt.
Das Bundesarbeitsgericht ergänzt seine frühere Rechtsprechung aber jetzt: Es kommt immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Diese müssen in den Tatsachengerichten (Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht) festgestellt und gewürdigt werden.
Dies kann dazu führen, dass ein Arbeitgeber bei einer vorsätzlichen Verletzung des Arbeitsschutzes auch den dadurch ausgelösten Arbeitsunfall bzw. die Berufskrankheit billigend in Kauf nimmt und vorsätzlich handelt!
Auch dies ist dann Vorsatz im rechtlichen Sinne. In einem solchen Fall entfällt das Haftungsprivileg des Arbeitgebers und er muss dem Arbeitnehmer alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden (u.a. Schmerzensgeld, Einkommenseinbußen) direkt ersetzen. Je stärker und wertvoller das eventuell betroffene Rechtsgut des Arbeitnehmers (Leben, körperliche Gesundheit), desto naheliegender kann es sein, dass der Arbeitgeber den Eintritt des Schadens beim Arbeitnehmer billigend in Kauf nimmt und es nur dem Zufall überlässt, ob sich die vom ihm durch die Verletzung des Arbeitsschutzes geschaffene und von ihm erkannte Gefahr realisiert. Lesen sie in Kürze hier mehr zum Thema einer Haftung und einer Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers ….